15.07.2020 -

Newsletter Juli 2020 - Wenn Kühe reisen

Foto: Angelika Zgraggen

Sommerzeit – Ferienzeit. Nicht nur viele Menschen verreisen dieser Tage in die Alpen, auch viele Kühe, Kälber und Stiere verlassen ihre Heimbetriebe, um den Sommer auf einer Alp zu verbringen. Rund ein Drittel aller Mutterkühe der Schweiz kommt jährlich in den Genuss von «Alpferien». Alpmeister Otmaro Beti berichtet im Beefgeflüster, was passiert, wenn menschliche und tierische Feriengäste auf engem Raum zusammen kommen. Sind auch Sie im Weidegebiet unterwegs? Dann lesen Sie unbedingt die drei Regeln für Ihre Sicherheit bei Begegnungen mit Rinderherden. Falls Sie Lust haben, dann dürfen Sie natürlich auch eine Mutterkuhherde beobachten – einfach immer mit Abstand!

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Beefgeflüster mit Otmaro Beti, San Carlo/Berninapass

«Die Interessen werden immer vielfältiger. Der Raum ist beschränkt.»

Eisenbahn, Autostrasse, Hochspannungsleitungen, Wanderwege, Kuhweiden etc., viele verschiedene Interessen machen sich auf dem Berninapass den Platz streitig. (Foto: Otmaro Beti)

Otmaro, du und deine Familie, ihr seid im Sommer dort zu Hause, wo tausende Touristen Urlaub machen, auf der Alp Bondo am Berninapass. Dieses Jahr prognostiziert man noch mehr Urlauber in den Schweizer Alpen. Merkt ihr davon etwas?

Ja, bereits Anfang Juni haben wir festgestellt, dass noch mehr Leute hier oben unterwegs sind. Wir sind aber gut vorbereitet. Während des Winters haben wir mit der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BUL) eine eingehende Risikobeurteilung durchgeführt. Basierend auf einem Sicherheitsgutachten und den Empfehlungen der Experten haben wir in Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen für den Unterhalt der Wanderwege Schilder montiert, um die Touristen an den richtigen Stellen auf das korrekte Verhalten gegenüber Weidetieren hinzuweisen.

Hattet ihr denn bisher keine Warntafeln aufgestellt?

Doch, aber es gibt jeden Tag Wanderer, die mit ihren Hunden durch die Herde laufen. Wir müssen also unsere Sorgfaltspflicht wahrnehmen und noch mehr sensibilisieren, damit sie Abstand zu den Tieren halten, Hunde an die Leine nehmen und auf keinen Fall vom Weg ab in eine Weide mit kleinen Kälbern hineingehen. Es ging in der Risikobeurteilung auch darum, Stellen zu eruieren, wo Schilder die grösste Wirkung haben. Ich kann eine Risikobeurteilung jedem Alpmeister empfehlen, der für eine Alp in einem touristischen Gebiet verantwortlich ist.

Tafeln machen an den richtigen Stellen auf das korrekte Verhalten gegenüber Mutterkühen und ihren Kälbern aufmerksam. (Foto: Luana Speiser)

Der Berninapass gehört wohl zu den am stärksten frequentierten Gebieten des Alpenraums. 

Ja, tatsächlich haben wir hier oben sehr viele Besucher. Da sind einerseits Touristen, die mit dem Zug oder Bus anreisen oder mit einer Seilbahn in die Höhe fahren. Diese sind meist problemlos für uns. Sie dringen kaum ins Weidegebiet ein, sondern drehen spätestens beim ersten Kuhfladen um (lacht). Dann gibt es aber auch die Wanderer, die Botaniker, Personen, die Wildtiere beobachten wollen und natürlich die Biker. Gerade viele Biker sind oft sehr schnell unterwegs und nehmen sich zum Teil leider wenig Zeit, die Landschaft und die Umgebung zu geniessen. 

Was bedeutet das für dich und die Arbeit auf der Alp?

Es ist eine grosse Herausforderung, doch wir haben auch Vorteile was die Erschlossenheit des Gebietes angeht. Die Zufahrt ist sehr praktisch und viele Weidegebiete kann ich aus dem Auto von der Strasse her einsehen und kontrollieren. Wegen Wanderwegen, Strassen und Eisenbahnlinien ist das insgesamt sehr grosse Weidegebiet in viele kleine Koppeln unterteilt. Das ermöglicht es mir, die Tiere in kleinen Herden zu halten. In kleineren Herden ist der Kälberzuwachs besser, die schwächeren Tiere kommen mehr zum Zug als in grossen Herden. Es bedingt aber auch viel Arbeit, da immer wieder neu eingezäunt und mit den verschiedenen Herden die Weiden gewechselt werden müssen. 

Welchen Wunsch hast du an die Touristen, die auf den Berninapass und eure Alp kommen?

Ich wünsche mir, dass sich die Leute bewusst sind, dass sie hier oben zu Besuch sind. Sie sollen sich Zeit nehmen, die Ruhe und die Landschaft geniessen und auch einen gewissen Respekt gegenüber dem Ort, den Menschen und den Tieren mitbringen. Die Alp gehört uns allen. Früher gab es nur die Älpler hier oben mit ihren Tieren, dann kamen die Strasse, die Eisenbahn, die Touristen, die Biker, die Grossraubtiere wie Bär und Wolf. Die Interessen werden vielfältiger und jeder beansprucht Platz für sich. Der Raum ist aber beschränkt. Jeder hat das Recht, seine Interessen zu leben und sich für diese einzusetzen, aber man muss auch Verständnis zeigen für diejenigen der anderen. Im Dialog können wir Lösungen finden, so dass alle Platz haben.


Otmaro Beti und Johanna Strawe leben mit ihren Kindern Ismaele (11), Giacomo (9) und Alma-Sophie (7) in San Carlo im Val Poschiavo. Hier, auf 1000 Meter über Meer, bewirtschaften sie 60 Hektaren landwirtschaftliche Nutzfläche. Auf einer Hektare wird Brotweizen für die Cooperativa Val Poschiavo angebaut. Der Grossteil der Flächen sind Ökowiesen und Mähwiesen zur Futtergewinnung für die 35 Mutterkühe mit Kälbern und Nachzucht sowie 120 Mutterschafe.

Von Ende Mai bis Mitte September ist die Familie wenn immer möglich mit den Tieren auf der Alp auf der Engadiner Seite des Berninapasses. Zusätzlich zu den eigenen Tieren betreuen sie hier zusammen mit einem Alphirten 20 Milchkühe, mehrere Mutterkuhherden, Rinder, 20 Alpschweine und auch Pferde. Gleichzeitig kümmert sich Otmaro zusammen mit einem Angestellten auch um die Heuernte auf dem Heimbetrieb.

Das Fleisch der Alpschweine sowie die Natura-Beef werden direkt vermarktet. 

(Foto: Johanna Strawe)


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Kuhleben

Die Beziehung ist wichtig

Kühe haben ein gutes Gedächtnis. Kommen Kühe immer wieder auf die gleiche Alp, so erinnern sie sich sehr gut, wo das beste Gras und die feinsten Kräuter wachsen oder wo es einen Bach gibt, um den Durst zu stillen. Genauso erinnern sie sich an den Alpmeister oder den Hirten, der sie während des Sommers betreut.

Ein erfahrener Alpmeister hat berichtet, dass er einmal eine ihm unbekannte Mutterkuhherde auf seiner Alp in Empfang nehmen durfte. Die Herde war äusserst unruhig. Gegenüber dem Alpmeister und dem Hirten gingen die Mutterkühe in Verteidigungshaltung, der Stier brüllte und muhte. Die Herde war nicht führbar. Dass es Unterschiede zwischen Mutterkühen und Milchkühen gibt, das hatte der Alpmeister in seinen langen Jahren der Erfahrung schon gelernt. Bei Milchkühen wurde beispielsweise oft mit Hunden gearbeitet, Mutterkühe nehmen Hunde als Raubtiere war, deshalb ist es besser auf sie zu verzichten. Manchmal hilft es, in eine neue Herde ein paar erfahrene, alte Kühe zu mischen. Diese wirken beruhigend auf die Neulinge und zeigen ihnen, wie das Leben auf der Alp funktioniert. 

Doch bei dieser fremden Herde war der Alpmeister nach ein paar Tagen mit seinem Latein am Ende. Er rief den Besitzer der Kühe an, er müsse kommen. Wenn sich die Herde nicht beruhige und einlebe, dann müssten sie halt wieder nach Hause. Am nächsten Tag kam der Besitzer auf die Alp. Er und der Alpmeister trafen sich direkt auf der Weide bei der Herde. Der Besitzer war zuerst da. Als der Alpmeister am Treffpunkt eintraf, stand der Besitzer zusammen mit zwei Helfern und einem Hund inmitten seiner Mutterkuhherde. Ein äusserst friedliches Bild. Er hatte Brot mitgebracht und verteilte dieses an seine Tiere, so wie sie es von zu Hause gewöhnt waren.

Der Alphirt nimmt sich Zeit für die ihm anvertrauten Tiere. (Foto: zVg)

Von da an nahmen sich der Alpmeister und der Hirte jeden Tag die Zeit, um an diese Mutterkühe ein wenig Brot zu verteilen. Diese waren nach dem Besuch ihres Besitzers wie ausgewechselt. Sie begannen sich an den unbekannten Ort und die fremden Menschen zu gewöhnen.

Die Tiere müssen eine Beziehung zur Alp aufbauen. Genauso wie auch der Alpmeister oder Hirt eine Beziehung zum Besitzer, zur Alp und zu den Tieren aufbauen muss, damit der Alpsommer gut verläuft und Tier und Mensch die «Ferien» geniessen können.

Angekommen. Diese Herde ist entspannt und geniesst ihre «Ferien» auf der Alp. (Foto: Daniela Hunger) 

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Wiedergekäut

Sicher unterwegs im Weidegebiet - drei Regeln für mehr Sicherheit

Lesen Sie in der Medienmitteilung der Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft (BUL), wie Sie auf Ihren Wanderungen sicher an Rinderherden vorbeikommen.

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Rassig

Pustertaler Sprinzen – Kein Südtiroler Käse

Bei den Pustertaler Rindern gibt es Schecken und Sprinzen. Letztere haben nichts mit dem Zentralschweizer Käse zu tun. Das Wort Sprinzen kommt vom mittelhochdeutschen «Sprinz», was so viel wie kleiner Fleck bedeutet. Manchen dürfte noch der Ausdruck «den Rasen sprengen» bekannt sein, darin ist ebenfalls das alte Wort «sprenzen» für spritzen zu finden. Somit ist klar, wie die Fellfarbe der Pustertaler Sprinzen zu sein hat, nämlich mit vielen kleinen Flecken bespritzt.

Die Pustertaler Rinder wurden seit jeher in zwei Farbtypen mit großer Variationsbreite gezüchtet: rot oder schwarz, gescheckt (Schecken) oder gesprenkelt (Sprinzen) auf weißer Grundfarbe. Charakteristisch sind auch die gefärbte Schnauze sowie Ohren und die umrandeten Augen. (Foto: zVg)

Selten und ausgefallen wie der Name sind auch die Tiere der Rasse Pustertaler. Die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH), das deutsche Pendant zu Pro Specie rara, hat die Pustertaler zur gefährdeten Nutztierrasse des Jahres 2020* ernannt. Das Pustertaler Rind aus der gleichnamigen früheren Grafschaft in Südtirol war im 19. Jahrhundert als die schwerste und eine der milchergiebigsten Rinderrasse Österreich-Ungarns bekannt. Um 1910 soll es noch um die 10.000 Tiere gegeben haben, 1963 betrug der Bestand dann nur noch wenige 100 Tiere. Für den Niedergang der Sprinzen war u.a. Benito Mussolini verantwortlich, der in der Zeit des Zweiten Weltkrieges als Ministerpräsident des Königreichs Italien die Sprinzenzucht verbot, um so ertragreichere Rassen zu begünstigen. Ihr Überleben verdanken die Pustertaler Sprinzen einer Handvoll Züchterinnen und Züchter, die sich den Anordnungen Mussolinis widersetzten und in den Kellern ihrer Berghöfe ihre Tiere versteckten. 

Pustertaler Sprinzen gehören zu den Alpenrindern. Dass es sie heute noch gibt, verdanken sie engagierten Liebhabern unter den Bauern. (Foto: Markus Jenni)

Seit 1994 wird die Rasse auch wieder in Italien offiziell im Herdebuch gezüchtet, in der Schweiz wurde die Rasse 2015 ins Fleischrinderherdebuch aufgenommen. Heute ist das Pustertaler Rind ein fleischbetontes Zweinutzungsrind, das sich durch Robustheit und gute Konstitution auszeichnet. Die Pustertaler werden heute vorwiegend als Fleischrinder in der Mutterkuhhaltung genutzt, dies vor allem im Südtirol, in Österreich, in der Schweiz und in Deutschland. Die Bestände konnten sich dank engagierten Züchtenden und unterstützenden Organisationen wieder erholen.

Wollen Sie mehr über die österreichischen Alpenrinder wissen? Dann schauen Sie sich unter diesem Link eine Dokumentation über die Pustertaler, Pinzgauer und Tux-Zillertaler an. Ihnen ist gemeinsam, dass sie nur dank engagierten Züchterinnen und Züchtern bis heute überlebt haben.

Quellen: GEH, NZZ, Mittelhochdeutsches Wörterbuch sowie Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm)


*Die GEH ernennt seit 1984 alljährlich die «Gefährdete Rasse» und macht damit deutlich, dass nicht nur bei den Wildtieren und Wildpflanzen, sondern auch in der Landwirtschaft der Verlust der Vielfalt zugenommen hat.

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Lust auf beef?

Natura-Beef-Markknochen und Pimientos del Padrón vom Grill

Ganz im Sinne von «from nose to tail» präsentiert sich unser heutiges Rezept. Knochenmark gilt bei Kennern als Delikatesse und schmeckt leicht nussig und mild würzig. Dazu noch ein paar geröstete Brotscheiben und grüne Bratpaprikas – fertig ist die Vorspeise. Wir sind gespannt auf Ihre kulinarischen Rückmeldungen unter organisation@beef.ch.

Hier geht's zum Rezept.

 

 

 

 

 

 

Foto: Big Green Egg Head


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Herumgekalbere

Auf dem Beobachtungsposten

Gibt es in der Nähe von deinem (Ferien-)Zuhause eine Rinderherde? Oder macht ihr ein Picknick mit Sicht auf grasende Kühe? Dann suche dir einen bequemen Platz ausserhalb der Weide mit viel Abstand zu den Tieren und nimm dir einen Moment Zeit, um die Tiere zu beobachten.

Welche Tiere kannst du entdecken? Kühe haben ein Euter. Der Stier ist massig und muskulös und zwischen den Hinterbeinen siehst du den Hodensack. Rinder sind junge weibliche Tiere, bei denen das Euter noch nicht entwickelt und deshalb auf Distanz nicht sichtbar ist. Kälber – die kennst du sicher! 
Wie viele Tiere zählst du? Gibt es gleich viele Kälber wie Kühe? Siehst du mehr als einen Stier in der Herde? Kannst du erkennen, welches Kalb zu welcher Kuh gehört?

Falls die Weide nahe bei deinem Zuhause ist, beobachte die Tiere zu verschiedenen Tageszeiten. Was machen sie? Wann schlafen sie? Wann fressen sie?
Viel Spass auf deinem Beobachtungsposten! Wenn du Fragen hast, schicke diese an organisation@beef.ch.

Falls du gerade nicht die Möglichkeit hast, eine Mutterkuhherde im Freien zu beobachten, dann übe doch einmal mit diesem Bild. Entdeckst du den Stier?

(Foto: zVg)