Die Schweiz, ein unbekanntes Land

Was schätzen Sie, wie viel Land in der Schweiz als Grasland bewirtschaftet wird? Wenn Sie weiterlesen, lernen Sie vielleicht die Schweiz von einer neuen Seite kennen (oder erhalten bestätigt, was Sie schon wissen).

Daniel Flückiger

In Landwirtschaftskreisen hat die Schweiz den Ruf, insgesamt ein «Grasland» zu sein. Viele Flächen in der Schweiz sind so steil, dass man sie am besten als Wiesen oder Weiden nutzt. Würde man dort Gemüse anbauen, wäre der Verlust an weggeschwemmter und abgerutschter Erde zu gross. In gewissen Regionen herrscht ein kühles, raues Klima, so dass andere Nutzpflanzen als Gras nicht richtig gedeihen. Und schliesslich ist es auch für ackerfähige Böden wichtig, sie innerhalb der sogenannten Fruchtfolge ab und zu ein paar Jahre als Wiesen zu bewirtschaften. So wird wieder Humus aufgebaut. Das ist wichtig, damit der Boden fruchtbar bleibt. Die Schweiz ist übrigens seit dem 18. Jahrhundert eines derjenigen Länder, in denen sich die Wissenschaft am gründlichsten mit Gräsern und ihrer landwirtschaftlichen Nutzung auseinandersetzt.

Nutzen wir in der Schweiz zu viele Flächen als Grasland? Gewisse Kreise, z.B. Veganer, vertreten diese Ansicht. Gerade der Mutterkuhhaltung wird teilweise dieser Vorwurf gemacht. Es heisst dann: Das Land, auf dem eure Kühe weiden, würde man besser direkt für den Anbau von Nahrungsmitteln wie Getreide oder Kartoffeln verwenden.

    Nachhaltigkeit

Wie möchten wir die Weiden im Berggebiet nutzen, wenn nicht mit Wiederkäuern? (Foto: Mutterkuh Schweiz)

In 24 Jahren den Kanton Luzern verloren

Allerdings wird in der Schweiz ein grosser Teil der Flächen, die für den Ackerbau geeignet sind, auch so genutzt. Der Bund fördert den Ackerbau mit Anbauprämien. Ein Blick in die Arealstatistik der Schweiz zeigt zwar, dass die offene Ackerfläche vom Zeitraum 1979/85 bis 2004/09 um 29‘516 ha zurückgegangen ist. Die Zahlen zeigen aber auch: Das kann nicht an den Wiesen und Weiden liegen. Diese sind nämlich im gleichen Zeitraum noch mehr geschrumpft als die offene Ackerfläche. Was zugenommen hat, sind Siedlungsflächen, Wald und Gebüsche. Insgesamt sind in 24 Jahren Äcker, Wiesen und Weiden im Umfang der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche des Kantons Luzern entweder überbaut worden oder verbuscht und verwaldet.

Was den Anbau pflanzlicher Nahrungsmittel in der Schweiz bedroht, ist also nicht die Tierhaltung, sondern vielmehr die immer noch fortschreitende Überbauung von Landwirtschaftsland. Die Weidetierhaltung auf Grasland leidet ebenso unter dieser Entwicklung. Dazu kommt, dass aufgrund des wirtschaftlichen Drucks Flächen aufgegeben werden. Vor allem in Randregionen werden gewisse Weiden oder Wiesen nicht mehr genutzt.

Nachhaltigkeit

Nichts Machen belastet die Umwelt auch

Was geschieht auf solchen Flächen, die nicht mehr bewirtschaftet werden? Wächst ein artenreicher, ökologisch wertvoller Mischwald heran? Meistens nicht, denn konkurrenzstarke Gebüsche wie die Grünerle nehmen rasch überhand und lassen Bäume gar nicht mehr emporkommen. Pro Jahr wird in der Schweiz die Fläche von 30 bis 40 durchschnittlichen Bauernhöfen von Grünerlen überwuchert.

Untersuchungen zeigen, dass gegenüber extensiven Weiden in den Grünerlenbeständen die Artenvielfalt niedriger und die Lachgas-, Ammoniak- und Nitrat-Emissionen höher sind. Nur die Methanemissionen sinken, wenn die Beweidung aufgegeben wird. Eine schonende und fachgerechte Beweidung ist also sinnvoller, als wenn man das Grasland verbuschen lässt. Gerade Alpweiden können sich durch eine hohe Biodiversität auszeichnen.

(Grafik: Tobias Bühlmann)


Wie wichtig sind Wiederkäuer für unsere Nahrungsmittelversorgung?

Würden wir die Wiesen und Weiden in der Schweiz nicht mehr nutzen, müssten wir die bisher auf diesen Flächen erzeugten Nahrungsmittel anders beschaffen. Um wie viel ginge es denn? Aus den verfügbaren Statistiken lassen sich einige Anhaltspunkte herauslesen. Milch und Fleisch von Wiederkäuern machen in der Ernährung der Schweizer Bevölkerung etwa 18 Prozent des Energie- und 30 Prozent des Eiweisskonsums aus. Dabei sollte man bedenken, dass der Netto-Selbstversorgungsgrad der Schweiz für die Energie bei rund 50 Prozent liegt, für Eiweiss bei knapp 70 Prozent. Ohne Milch und Fleisch von Wiederkäuern würde der Energie-Selbstversorgungsgrad also etwa von 50 auf 32 Prozent sinken und der Eiweiss-Selbstversorgungsgrad von 70 auf 40 Prozent.

Würde das Grasland nicht mehr landwirtschaftlich genutzt, müsste die Schweiz also auf jeden Fall bedeutend mehr Nahrungsmittel importieren als heute und das in einer Zeit, in der für die Landwirtschaft immer weniger Fläche zur Verfügung steht.

Der Anteil an der landwirtschaftlichen Nutzfläche

Aber noch einmal zurück zur anfangs gestellten Frage: Was schätzen Sie, wie viel Land in der Schweiz als Grasland bewirtschaftet wird? Ist es gemessen an der land- und alpwirtschaftlich genutzten Fläche ein Drittel? Oder zwei Drittel? Wir haben die Frage an einer unserer Veranstaltungen den Besucherinnen und Besuchern gestellt. Die grosse Mehrheit tippte auf einen Anteil von einem Drittel. Zumindest nach dem Mehrheitsprinzip wäre das eine gute Antwort. Doch werfen wir noch einen Blick in die offizielle Arealstatistik (Quelle: Agristat/BfS):

Bodennutzung

 

Fläche in Hektaren

 

Anteil

Ackerland (davon ca. 125'000 ha Kunstwiesen)

 

407'068

 

27%

Spezialkulturen

 

50'970

 

3%

Naturwiesen in LN

 

509'766

 

35%

Alpweiden und -wiesen

 

513'853

 

35%

Total

 

1'481'657

 

100%

Total sind es rund 1'150'000 Hektaren Grasland. Das sind 78 Prozent der gesamten land- und alpwirtschaftlich genutzten Fläche. Übrigens stammen die Zahlen aus der Arealstatistik 2004/09, weil die Angaben für 2013/18 noch nicht für alle Kantone publiziert sind.

Vielleicht achten Sie sich das nächste Mal, wenn Sie spazieren, wandern oder Velo fahren, etwas mehr auf die Wiesen und Weiden. Sie sind ein bedeutender und ein wertvoller Teil der Schweiz.

Mehr über die Grünerlenproblematik findet man im Factsheet «Grünerlen» der Akademien der Wissenschaften Schweiz